Beginnen wir also bei den Voraussetzungen für eine erfolgreiche Implantation und prothetische Versorgung auf der Basis von Implantaten. Ein Patient muss ein gewisses Zahn- bzw. Implantatbewusstsein haben. Er muss die Mundgesundheit schätzen, die einwandfreie Kaufunktion schützen, Sinn für Mundästhetik haben, mit anderen Worten, der Patient muss mündig sein. Er muss wissen, dass die Nachversorgung genau so wichtig ist, wie die Behandlung selbst. Der Patient sollte eine, für den Eingriff ausreichende Regenerationskapazität mitbringen, was nichts anderes bedeutet, dass er gesund ist und keine chronische Entzündungen haben sollte. Optimal ist, wenn er Nichtraucher ist und keinen Tabletten- oder Alkoholmissbrauch aufweist.
Von Seiten der Zahnärzte muss der Patient ein ausreichendes Knochenangebot vorweisen können oder zumindest die Bereitschaft zeigen, sich den fehlenden Knochen durch einen Aufbau ersetzen zu lassen. Stimmen die aufgezählten Faktoren, ist der Zahnarzt nicht nur für das Implantieren, sondern auch zu einer prothetischen Rehabilitation des Patienten bereit. Unter der Voraussetzung der regelmäßigen Kontrollen garantiert die Implantologie einen langfristigen Erfolg. Besteht die Bereitschaft, sich der regelmäßigen Mundhygienekontrollen zu unterziehen, ist es durchaus möglich dem Patienten eine deutliche Garantie auf den Erfolg zu gewähren. In meiner Praxis sind das z. B. zehn Jahre. Ich kenne auch andere Praxen, wo seitens der Kollegen ähnliche Garantie gewährleistet wird.
Wie ist es möglich eine solche langfristige Vorhersehbarkeit anzubieten? Und das gerade in der Medizin, die mit lebendigem Organismus und so vielen Variablen arbeitet? Um sich das vorzustellen, muss man zuerst bei der so genannten „Osseointegration“ beginnen. Diesen Begriff verstehen heute bereits viele Laien, die sich für dentale Implantate interessieren. Jedoch nur wenige wissen, was sich tatsächlich zwischen der Implantat-Oberfläche und dem Kieferknochen abspielt. In der beinahe hundertjährigen Geschichte der modernen Implantologie hatte man mehr als 100 verschiedene Materialien in mehreren hundert Formen ausprobiert. Da die Implantologie bis in die Achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts fast ausschließlich eine Domäne der praktischen Zahnärzte war, hatte man diese unglaubliche Menge an Implantatmaterialien und Formen ausschließlich an Menschen getestet. Dann hat die Ablehnung von Seiten der Universität aufgehört und somit auch die Versuche an Menschen. Seither wurde die Entwicklung mit Hilfe von Tierversuchen vorangetrieben und in den letzten 25 Jahren sind wir durch diesen breiten Konsens bei dieser unglaublichen Erfolgsrate angelangt, die uns in der Medizin beachtliche Erfolgsprognosen von 10 bis 20 und auch mehr Jahren erlaubt.
Nun sind wir aber auch mit den Limits der individuellen Regenerationskapazität des Einzelnen konfrontiert. Ich bin mir sicher und mit mir viele andere Mediziner, dass diese in der Bevölkerung kontinuierlich abnimmt. Die Gründe hierzu sind bekannt: die Leistungserwartung steigt; die Erholungspausen verkürzen sich; die Vitalstoffe in unseren Nahrung schwinden; die Umweltschäden nehmen zu.
Wir sind 12 und mehr Stunden am Tag durch Stress, Lärm, Elektro- und Lichtsmog (Fernsehen, Auto und Flugzeuge etc.) geplagt ohne Chance, diesen Angriffen entgegenzuwirken. Im Gegenteil. Weniger Freizeit bedeutet weniger Sport. Es bleibt uns weniger Zeit für die Nahrungsaufnahme. Der Mensch wird mehr und mehr ins Eck gedrängt. Hier werden wir bald unsere Limits erkennen, genauso, wie wir in den letzten Jahren die Limits unserer Erde erkannt haben. Und dann werden ähnliche Maßnahmen zum Schutz der Spezies „Mensch“ ergriffen, wie es nun in punkto Umwelt geschieht.
Und doch – die inserierten Implantate wachsen ein. Von der breiten Auswahl an Materialien ist uns nur ein Material geblieben: Titan. Dieses, nicht gerade edle Metall, ist ein sagenhaftes Wundermaterial, das vom Körper durchaus toleriert wird und in der breiten Palette der medizinischen Behandlung, wie z.B. als künstliche Gelenke, Osteosyntheseplatten etc. Anwendung gefunden hat. Von den zahlreichen Formen, die man ausprobiert hat, hat sich das Implantat in der konischen Wurzelform als ideale Form für die Implantation der Zukunft heraus kristallisiert.
Nun stimmen alle Faktoren zusammen. Das Implantat ist inseriert und die minimalinvasive Verletzung setzt die Reparaturkaskade in Gang. In der frühen Heilphase wird dann entschieden, wie weit die Implantatoberfläche im unmittelbaren Kontakt zum Knochen steht. Auch im Bezug auf die Implantatoberfläche haben die Werkstoffkundler in den letzten 10 Jahren wahre Wunder vollbracht. Die Strukturierung der Oberfläche ist dermaßen ausgeklügelt, dass die Poren des Implantates mit den körpereigenen Knochenzellen perfekt harmonieren und diese freudig drauf wachsen. Das Ergebnis ist bekannt. Nach wenigen Tagen scheint das Implantat im Knochen fest zu sein, nach einem Jahr lässt es sich mit keiner Kraft mehr entfernen.
Mit der Geburt des Implantats (so kann man das Einbringen des Implantates nennen) könnte die erfolgreichste Geschichte der Zahnmedizin, die ich hier beschreibe, enden. Leider ist es so, wie im Leben; das neugeborene Implantat erweist sich gleichermaßen als eine Sorge mehr für den Zahnarzt, aber auch für den Patienten. Das Implantat muss lebenslang gepflegt werden. Die professionelle Reinigung sollte regelmäßig, 2x im Jahr vom geschulten Personal durchgeführt werden. Nicht dieselben Instrumente wie bei den Zähnen kommen hier zum Einsatz. Die feine Struktur des Implantatzahnhalses darf keinesfalls beschädigt werden. Die Harmonie der Hart- und Weichgewebe muss stabil bleiben. Die Integration des Implantates im Knochen – und Weichgewebe ist eine andere als die des Zahnes. Beim Implantat fehlen uns die feinen Steuerungsmechanismen die einem Zahn zu Verfügung stehen, einer bakteriellen Attacke (Entzündung) widerstehen. Es fehlen Frühwarnungssysteme, die uns rechtzeitig warnen wenn etwas nicht in Ordnung ist, denn es fehlen die Schmerzrezeptoren. Deshalb ist eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Patient, dem Zahnarzt, der Dental – Hygienikerin und dem Zahntechniker umso wichtiger.
Also stellen wir uns noch einmal die Frage: sind die Implantate bessere Zähne? Einer der bedeutesten Zahnärzte der Gegenwart Prof. Jan Lindhe aus Göteborg hat diese Fragestellung und Diskussion mit folgendem Satz beendet: „Die Implantate sollen die fehlenden Zähne ersetzen, nicht die Zähne“. Und aus dieser Feststellung ergibt sich auch die Antwort: es gibt nichts Wertvolleres als ein lebendiger gesunder Zahn. Es gibt nichts Ästhetischeres als ein weißer Zahn, der in ein gesundes Zahnfleisch eingebettet ist. Wir Zahnärzte, Zahntechniker und Zahnhelferinnen haben allen Respekt der natürlichen Schönheit gegenüber, mit der die Natur unser Gebiss ausgestattet hat und Sie Patienten sind in der Pflicht diese Schöpfung ultimativ und lebenslang zu pflegen. Nur auf diesem Weg kann uns gemeinsam gelingen ihre Zähne lebenslang zu erhalten.
Dr. Ivan Tresnak